Der Reiz der Revolution

Erschienen in: Frankfurter Rundschau, 17./18. Feb. 2018, S. 21-23, Download als PDF hier.

Tausende Deutsche strömten in den 1980er Jahren ins revolutionäre Nicaragua, um den jungen Sozialismus vor einer Invasion der USA zu schützen. Einige Brigardisten von damals leben bis heute in Nicaragua.
Von Nina Marie Bust-Bartels

Der Platz der Blockfreiheit – wo einst Reden und Fahnen geschwungen wurden, stehen heute Baracken. Fotos: Marie Bust-Bartels

Es ist stockfinster als Gerhard Gust aus dem Bus steigt. Die nicaraguanische Hitze ist hier in den Kaffeebergen erträglicher, die Luft ist klar, es weht ein leiser Wind. Gerhard Gust schnallt seinen Rucksack um, er hat alles dabei, was auf der Packliste stand, Schlafsack, Mückennetz, drei Rollen Klopapier. Sechs Wochen müssen die reichen. In diesen sechs Wochen im Winter 1983 will Gerhard Gust als Brigardist die nicaraguanische Revolution unterstützen.
Von der Revolution ist nichts zu hören in dieser Nacht, keine Schüsse von der Frontline, die nur wenige Kilometer entfernt liegt. Alles ist ruhig, als Gerhard Gust zusammen mit 40 anderen Brigardisten in der Dunkelheit wartet. In der Ferne tanzt ein Licht. Rogelio Viareinas Gaslampe flackert bei jedem Schritt. Er und die anderen Kaffeebauern wissen nicht, wer da kommt, mitten in der Nacht. Und so fällt, als sie den Bus erreichen, die Begrüßung etwas verhalten aus. Rogelio Viareina pflückt Kaffee seit er zehn Jahre alt ist. Damals gehörten die Kaffeeberge hier in Sontule nördlich der Stadt Estelí noch René Molina. Bei ihm arbeiteten alle im Dorf, Männer, Frauen und Kinder, der Lohn reichte den Familien trotzdem kaum zum Leben. Nach der sandinistischen Revolution 1979 verschwand René Molina. Wie viele Vertreter der alten Elite ging er ins Ausland und die siegreichen Sozialisten verteilten sein Land an seine Angestellten. Rogelio Viareina gründet mit anderen Arbeitern eine Kooperative. Seither arbeiten sie füreinander, nicht mehr für René Molina.
Als am 19. Juli 1979 die Revolutionäre der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) den autoritären Präsidenten Anastasio Somoza stürzen, hat das Auswirkungen über das kleine Land in Mittelamerika hinaus. Überall auf der Welt fasziniert dieser freiheitliche Sozialismus, getragen von einem breiten Bündnis von anarchistischen und marxistischen Linken bis hin zu bürgerlichen und christlichen Kräften. Tausende Deutsche reisen in den 1980er Jahren nach Nicaragua. Heute erinnern in Deutschland nur noch die Partnerschaftskaffeetüten in den Weltläden an die Solidarität mit Nicaragua. Die meisten Brigardisten kehrten nach Deutschland zurück, spätestens als die FSLN 1990 abgewählt wird. Aber nicht alle.
In dieser Nacht im Dezember 1983 als die Deutschen zu Rogelio Viareina ins Dorf kommen, erfährt er, sie sollen bei der Kaffeeernte helfen. Und so steht er am nächsten Morgen neben Gerhard Gust auf dem steilen rutschigen Boden, wo der Kaffee wächst. Kaffeepflücken ist harte Arbeit und die Deutschen sind langsam, jedes Kind in Sontule ist schneller, aber Rogelio Viareina ist geduldig. Er zeigt, wie die Beeren einzeln vom Strauch gezogen werden und am Fuße der Reihe in Säcken gesammelt ins Dorf geschleppt werden.

Blick auf die Berge rund um Rogelio Viareinas Dorf. Damals war die Gegend umkämpftes Gebiet.

Einige Tage später löffelt Rogelio Viareina mit Gerhard Gust Hühnersuppe in seiner Küche. Aber unterhalten können sie sich nicht. Gerhard Gust spricht bis heute kaum Spanisch. Dennoch lebt er in Nicaragua. In seinem Arbeitszimmer säumen rote Aktenordner die Wände. Hier ist sorgfältig abgeheftet, der deutsche Blick auf Nicaraguas Revolution: Zeitungsartikel, Flugblätter und später die Newsletter der Nicaraguavereine.
Gerhard Gust sitzt an seinem Schreibtisch und erzählt von der Revolution. Sein Bart ist grau und lang, so lang wie sein Haar, das ihm ihm bis über die Schultern reicht. Hinter Gerhard Gust im Regal zwischen Büchern steht aus Stein der Kopf von Karl Marx. Im Aschenbecher glüht eine Zigarre ihrem Ende entgegen. „Ich wusste immer, in Nicaragua will ich meinen Lebensabend verbringen.“ Gerhard Gust ist 67 Jahre alt und gelernter Bankkaufmann, er war lange arbeitslos, seine Rente ist klein. In Nicaragua aber reicht sie für ein Haus und ein paar Annehmlichkeiten. Als er in das Flugzeug der ersten Kaffeebrigarde aus Deutschland steigt, ist Gerhard Gust 33 Jahre alt. An einem Morgen kurz vor Weihnachten 1983 geht es über Havanna nach Managua. 150 Revolutionshungrige, eine gewagte Mischung aus Anarchisten, Kommunisten, Christen und Grünen. Es wollten weit mehr Menschen mit als in die russische Aeroflot-Maschine passen.
Als sie ankommen bringt die FSLN die deutsche Brigade auf den Platz der Blockfreiheit. Dort bejubeln bereits Tausend junge Menschen aus Europa, den USA und aus Lateinamerika die Reden der Commandantes. Die Dunkelheit ist noch heiß als die Revolutionshelden auf der Bühne die Hymne der Frente anstimmen. Und Gerhard Gust bekommt Gänsehaut. Der Name des Platzes ist kein Zufall. Die Sandinisten wissen, ihre Weigerung sich einem der Blöcke des Kalten Kriegs zuzuordnen, das begeisterte junge Menschen überall auf der Welt. In Kohls  Deutschland  liegt  die  Studierendenbewegung  Jahre  zurück.  Politik  und  Gesellschaft scheinen  erstarrt.  In  Nicaragua  wollen  die  Brigardisten  etwas  bewegen,  die  Euphorie  der Revolution spüren – und  ein bisschen Abenteuer.
Heute ist der kalte Krieg Geschichte, die Blöcke verschwommen und was früher der Platz der Blockfreiheit war, ist heute Brachland am Rande einer vierspurigen Straße. Die vorbeifahrenden Busse wirbeln Staub auf, der sich auf die Hütten am Straßenrand legt. Sie sind notdürftig aus Brettern und Plastik zusammengenagelt, einige verkaufen klebrige Snacks in bunten Tüten. Nur die schwarz-rote Fahne der FSLN erinnert noch an die Revolution.
Luis Caldera steht an der Bordsteinkante und kneift die Augen zusammen, gegen den Staub und die Sonne und gegen die Erinnerungen. Sie tun weh. Das sind seine Compañeros von damals, die jetzt die Geschicke seines Landes lenken. Mit ihnen riskierte er sein Leben für ein gerechteres Nicaragua, mit ihnen richtete er die Waffe auf Menschen. „Für die meisten ist Nicaragua heute kein besserer Ort als unter Diktator Somoza,“ sagt Luis Caldera. Das Land ist eines der ärmsten Lateinamerikas und Präsident Daniel Ortega, der Revolutionär von damals, herrscht nun selbst autoritär.
Luis Caldera ist 15 Jahre alt, als er sich den Sandinisten anschießt, 18 als die Frente den Nationalpalast stürmt. Die Revolution ist jung, kaum jemand ist über dreißig. Und so mischt sich noch in der Revolutionsnacht in die Euphorie die Frage: „Was machen wir jetzt?“  Aber die Frente damals ist eine Guerillabewegung, sie ist hierarchisch organisiert. „Am Anfang hat uns das geholfen,“ erzählt Luis Caldera. „Wir bekamen jeder eine Aufgabe und die erfüllten wir.“ So wurde die junge Regierung schnell handlungsfähig. Sie senkt die Alphabetisierungsrate von 50 auf 12 Prozent und verteilt den Boden, der sich unter Somoza in den Händen einer kleinen Elite befand, neu.
Luis Calderas Aufgabe ist die Revolution zu verteidigen. Die USA scheitern 1961 in der Schweinebucht in Kuba, 1966 marschieren sie in der Dominikanischen Republik ein, beim Putsch gegen die sozialistische Regierung in Chile 1973 hat die CIA ihre Finger im Spiel. Bolivien, El Salvador, Grenada – die USA dulden keinen Sozialismus in Lateinamerika. Und die jungen Revolutionäre in Nicaragua haben Angst, dass auch ihnen eine Invasion der US-Truppen droht. Und so fährt Luis Caldera um die Welt. Er knüpft Kontakte zu Parteien, Regierungen und zu sozialen Bewegungen.
In Deutschland gab es auch vor dem Sieg der Sandinisten bereits Solidaritätsgruppen. Es sind Nicaraguaner wie Enrique Schmidt, der in Köln studiert und später im Kampf gegen die Contras fällt, die die Solidarität in Deutschland mit der FSLN vernetzen. „Deutschland hatte großen Einfluss auf die europäischen Solidaritätsbewegungen,“ sagt Luis Caldera. Hier begeistert die Revolution besonders, in fast jeder Stadt entstehen Solidaritätsgruppen, sie sammeln Spenden, organisieren Proteste gegen die deutsche Beteiligung am Wirtschaftsembargo Nicaraguas. Tausende melden sich als Brigardisten.
„Die Brigardisten waren Multiplikatoren für unsere Sache,“ sagt Luis Caldera. Sie sollten das Bild des nicaraguanischen Sozialismus in ihren Ländern prägen. Und die Sandinisten wussten genau, wie sie ihre Revolution vermitteln mussten. Während ihrer Zeit in Nicaragua bekommen die Brigardisten die Erfolge der Revolution gezeigt und sie treffen die berühmten Commandantes,. Für die Begrüßung auf dem Platz der Blockfreiheit wird die Ankunft der Brigardisten aus den verschiedenen Ländern genau getimte. Die Besucher sollen die Revolution spüren und die Euphorie. „Sie wurden Teil von etwas Großem,“ sagt Luis Caldera, „und das haben wir sie spüren lassen, am ganzen Körper.“
Die wichtigste Funktion der Brigardisten aus dem Westen aber ist, dass sie den politischen Preis für eine Invasion der USA in die Höhe trieben. „Eine Militärintervention bei der überall im Land Weiße rumlaufen, das produziert keine guten Bilder – und zu viel Aufmerksamkeit,“ erklärt Luis Caldera. Um diese Weißen ins Land zu bekommen reist Luis Caldera durch die USA und Europa, er trifft Politiker und Gewerkschaftler, spricht in Stadthallen und Universitäten.
Das Auditorium der Technischen Universität in Berlin ist voll als die Delegation aus Nicaragua kommt. Die Studentinnen und Studenten sitzen auf den Treppenstufen und auf dem Boden, über der Tafel hängt die Flagge der FSLN. „Die deutschen Solidaritätsgruppen waren sehr kritisch, das mochte ich,“ erzählt Luis Caldera. Er ist damals nicht älter als die Studierenden vor denen er spricht. Auch er hat nicht alle Antworten, auch er zweifelt. Das kommt gut an. Als die Sandinisten die Miskito gewaltsam umsiedeln, kommen die Fragen der Deutschen noch bevor Luis Caldera selbst davon erfährt. Heute sagt er: „Das war ein Fehler. Wir haben nicht verstanden, dass den Miskito ihr Zuhause wichtiger war als Sicherheit.“
Zu einem dieser Solidaritätstreffen in Berlin kommt Charly Steinmeier. In einem überfüllten Hörsaal schaut er den Film „Der Aufstand“ von Peter Lilienthal, der die nicaraguanische Revolution erzählt. Charly Steinmeier schaut ihn mit glühenden Augen und Euphorie in der Brust. Er hat gerade seine Ausbildung bei Bosch abgeschlossen, ist Gewerkschafter, wie sein Vater.
Danach war nichts mehr wie vorher. Charly Steinmeier gründet die erste Gewerkschaftsgruppe für Nicaragua in Deutschland, fährt durch das Land, sammelt Werkzeuge und Geld. Als er endlich mit einer Gewerkschaftsbrigarde nach Nicaragua reist, kommt er nach Granada. In der Stadt voller bunter Kolonialbauten südlich von Managua arbeitet er in einer Kartonfabrik, wohnt bei der sandinistischen Jugend.
In der Fabrikhalle riecht es modrig, schummriges Licht flackert über das große Becken. Hier sprudelt das Altpapier im Wasser, lösen sich die Zellstoffverbindungen und alles wird zu einem grauen Papierbrei. Francesco Borges gründete die sandinistische Jugend in Granada. Früher stand er hier mit Charly Steinmeier am Förderband, zog die Pappen aus dem Trocknungszylinder und stapelte sie auf Paletten. Den Gabelstapler, der die schweren Pakete noch heute durch die Halle fährt, hat einst Charly Steinmeier repariert.
Francesco Borges ist immer noch agil, wirkt jung, aber sein Haar ist grau geworden, genauso wie sein  Bart.  „Einige  Brigardisten,  wollten  damals  unbedingt  kämpfen,“  erinnert  sich  Francesco Borges. „Aber das war streng verboten.“ Die FSLN fürchtete, der westdeutsche Staat würde die Reisen unterbinden, wenn Deutsche zu Schaden kämen. Tatsächlich starben zwei Deutsche in Nicaragua. 1986 wird eine Brigade entführt. Um die Abenteuerlust der Brigardisten dennoch zu befriedigen, organisierte Francesco Borges Schulungen im Häuserkampf: „Ich erinnere mich noch, wie ich mit Charly durch leerstehende Häuser robbte und den Ernstfall probte.“ Der Ernstfall, das war die Militärintervention der USA.

 

Charly Steinmeier war lange nicht mehr in der Kartonfabrik. Nicht mehr seit sie in private Hände kam. Verkauft, wie so vieles in Nicaragua, nachdem die Sandinisten 1990 die Wahlen verloren. Charly Steinmeier verbringt seine Tage in seinem Restaurant. Charly’s Bar steht auf dem Schild an der Straße. Hier liegt ein Stück Baden-Württemberg mitten in Nicaragua. Die Straße „Calle Kusterdingen“ heißt nach einer kleinen Kleinstadt neben Tübingen: Charly Steinmeiers Heimat. Er nahm sie mit nach Nicaragua. Sie hängt an den Wänden, konserviert in vergilbten Fotos und in den Zeitungsartikeln aus der Kreiszeitung. Sie erzählen von der Solidarität und von Charly Steinmeier, dem Kusterdinger in Nicaragua.
Neben Charly Steinmeier am Tisch sitzt Lothar Fraske. Auf der blauweiß-karierten Tischdecke werden Jägerstake und Bratkartoffeln serviert. Die beiden kennen sich aus der Zeit als die FSLN noch eine Bewegung war, für die es sich zu kämpfen lohnte. Freunde, werden sie sich jedoch erst nach 1990, als die Revolution abgewählt ist – und als in Deutschland die Mauer gefallen ist.
Lothar Fratzke betreut 1984 im Auftrag der DDR ein Zementwerk in Kuba, als er nach Nicaragua beordert wird. Er soll die Freundschaftsbrigarde der FDJ in Jinotepe leiten. 1985 bis 1988 baut er in der kleinen Stadt südlich von Managua eine Ausbildungswerkstatt auf. Er bildet Schlosser, Klempner, Schneider aus, die Klassen bestehen fast nur aus Mädchen, die Jungs sind alle im Krieg.
In Deutschland trennt die Mauer sauber die Gesellschaften. In Nicaragua aber treffen sich die Solidarität aus Ost und West. Kontakte zu Westdeutschen in Nicaragua sind zwar verboten, „aber das haben wir nicht so genau genommen,“ sagt Lothar Fratzke, „ich hab das einfach nicht erzählt“. Er fährt mit seinen Auszubildenden zu Kooperativen, sie reparieren Traktoren, helfen beim Bau von Schulen und dem Kulturzentrum „Casa de los tres mundos“. Ob aus Ost oder West, sie alle sind hier, um die FSLN zu unterstützen, das verbindet. „Aber über Politik wurde nicht geredet,“ sagt Lothar Fratzke. „Es ging um die Sache.“
Die  Solidarität  aus  der  DDR  ist  staatlich  verordnet.  Sie  ist  eine  Möglichkeit  einmal  raus  zu kommen, zu reisen. Es gibt zwar auch nicht-staatliche Nicaragua-Solidarität in der DDR, diese Gruppen bekommen aber selten eine Ausreisegenehmigung.
Die meisten Brigardisten aus der DDR leben in Managua. Hier baut ihnen ihr Staat eine eigene kleine Stadt. Die Häuser kommen fertig mit der MS Quedlinburg und müssen nur noch zusammengesteckt werden. Auch im Hotel Intercontinental, direkt am Flughafen wohnen DDR-Brigardisten. Hier auf engem Raum mit so vielen Landsleuten ist die Kontrolle großer.
Michael Funke wohnt in einem der Zimmer des Hotels. Er ist damals 27 Jahre alt und soll beim Aufbau des Krankenhauses „Hospital Carlos Marx“ helfen. „Es gab natürlich auch die ängstlichen unter uns, aber wir waren jung und sind einfach raus, jeden Abend in die Bars der Stadt,“ erzählt Michael Funke. Und der damalige Leiter des Krankenhauses drückt beide Augen zu.
Heute erinnern im Krankenhaus noch die Türklinken an diese Zeit. Es sind keine runden Türknaufe zum drehen, wie sonst überall in Nicaragua, sondern die deutschen zum Runterdrücken. 240 Betten stehen heute in dem Krankenhauskomplex, zu wenig für die 520.000 Menschen im Einzugsbereich der Klinik. 90 % von ihnen leben unter der Armutsgrenze, aber die Behandlung ist kostenlos.
Die DDR als Staat hat natürlich ganz andere Mittel für seine Nicaraguasolidarität, als die zivilgesellschaftlichen Gruppen aus Westdeutschland. Für das „Hospital Carlos Marx“ schickt die DDR Spezialisten, Medikamente und medizinisches Gerät in ihr sozialistisches Bruderland. Zuerst wird in Zelten behandelt, dann kommen die fertig-Häuser mit dem Schiff aus der DDR.
Die medizinische Versorgung ist zu Beginn der 1980er Jahre eins der drängendsten Probleme der jungen sozialistischen Republik. Die Contra, eine Guerillabewegung, die von den USA unterstützt wird, organisieren den militärischen Widerstand gegen die Sandinisten. 180.000 Jugendliche unter dreißig ziehen für die FSLN in den Krieg. Der Bürgerkrieg fordert zehntausende Tote, erst nach der Wahl 1990 als, die FSLN überraschend gegen ein Bündnis aus 14 Parteien verlieren und die Macht abgeben, werden die Contras entwaffnet.
Auch die Kooperative in Sontule wird mehrmals überfallen. Rogelio Viareina und die anderen laufen dann in den Wald, verstecken sich, aber sie müssen mit ansehen, wie die Contras ihre Häuser verwüsten. Bei einem der Angriffe wird Rogelio Viareina angeschossen. Er stolpert die Berge herunter, hält sich mit seiner linken Hand in den Büschen fest. Die rechte Hand ist an den Bauch gepresst. Ein sauberer Schuss in die Handinnenfläche, schräg unterhalb des Handgelenks wieder raus. Das Blut hat längst sein Hemd durchnässt und sucht sich seinen Weg hinunter auf den Boden, als Rogelio Viareina das nächste Dorf erreicht. Auf der Leine neben den Hütten aus Holz und Lehm hängt die Wäsche und Rogelio Viareina greift zu. Die Jacke rettet ihm das Leben. Sie verdeckt den blutenden Arm, die Kontrolle der Contras fährt vorbei.
Dreißig Jahre ist das nun her und die Narbe an seiner Hand ist zwischen den tiefen Falten kaum noch zu erkennen. Rogelio Viareina sitzt neben seiner Frau Lucia Acuña in der Küche, leise reden sie über den Tag, über die Kooperative und den Kaffeepreis. Lucia Acuña schaufelt glühende Kohlen aus dem Ofen in den Herd. In dem verbeulten Topf darauf sprudelt salziges Wasser Reis und Bohnen durcheinander. Durch die Tür dringt das Gackern der Hühner, ein weißer Hahn stolziert über den Hof. Die Kaffeekooperative in Sontule ist eine Ausnahme, hier arbeiten die Kaffeebauern noch immer gemeinschaftlich. Viele Kooperativen wurden zerschlagen, das Land verkauft, als die Sandinisten 1990 abgewählt wurden. Einer der Käufer ist Lothar Fraztke, 13 Hektar umgeben seine Finca. In den nächsten Jahren werden acht andere ehemalige Brigardisten aus Deutschland zu Lothar Fratzke auf die Finka ziehen, um hier ihren Lebensabend zu verbringen. Ähnlich wie Gerhard Gust, will Lothar Fratzke seine Rente im warmen Nicaragua genießen. Lothar Fraztke am Pool und Gerhard Gust zwischen seinen Aktenordnern.