Erfolgsrezepte

Erschienen in: Frankfurter Rundschau, 31.10.2013, Magazin, S. 2-3, Download als PDF hier.

Geflüchtete Frauen sind oft isolierter als geflüchtete Männer. Verschiedene Projekte in Deutschland zeigen: Gemeinsam Kochen bietet Frauen nicht nur beruflich Perspektiven, sondern ist für sie auch ein Weg, die eigenen Vorurteile und Hemmungen abzubauen. Von Milena Bialas

Nudeln und Kartoffeln! „Das ist alles, was die Deutschen essen!“, sagt Yad lachend, während sie einen Strauß Koriander in feine Streifen schneidet. Andererseits: Nudeln und Kartoffeln passen auch zu syrischem Essen. „Das kann ich gut in meiner Küche verwenden“, sagt Yad, die 2010 mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist und jetzt bei dem Hamburger Catering Service „Chickpeace“ arbeitet. Der Gründung von „Chickpeace“ im Jahr 2016 lag folgender Gedanke zugrunde: Geflüchtete Frauen sind oft isolierter als geflüchtete Männer – und das nicht nur in Deutschland. Für sie ist es besonders schwer, sich ihren Platz in der Gesellschaft zu erarbeiten. Kinder und Haushalt – das fällt in den meisten Fällen den Frauen zu. Doch über das Kochen schaffen es geflüchtete Frauen, aktiv zu werden, sei es beruflich oder um neue Beziehungen zu knüpfen. Vor allem aber ist es für sie ein Weg, Vorurteile und Hemmungen abzubauen – auch ohne die deutsche Sprache komplett zu beherrschen. Inzwischen gibt es deutschlandweit verschiedene Organisationen, die Projekte rund ums Kochen speziell für Frauen anbieten – und ihnen damit neue Möglichkeiten bieten. Ein warmer, etwas schwüler Sommernachmittag in Hamburg. Die Küche riecht nach Zimt, Minze und aufgewärmtem Öl. Alles hat bei „Chickpeace“ mit Kochkursen angefangen. Daraus wurde ein professionelles Unternehmen. Der Catering-Service stellt geflüchtete Frauen ein, die aus aller Welt kommen: aus Syrien, dem Irak, Somalia. In Aleppo hatte Yad nicht gearbeitet. „In Syrien arbeiten wenige Frauen,“ erzählt sie. „Aber hier in Deutschland haben alle Frauen einen Beruf. Das finde ich wichtig.“ Inzwischen träumt sie davon, eines Tages ihr eigenes Lokal in Hamburg zu öffnen. Maisaa, eine Frau mit rot gefärbten Haaren, die einzige, die den Kopf nicht verhüllt hat, hilft Yad beim Vorbereiten von Spießen mit Feigen, Oliven und Feta. Maisaa kommt aus dem Irak, wo sie 13 Jahre als Journalistin für eine Zeitung gearbeitet hat. „Hier in Deutschland kann ich nicht als Journalistin arbeiten, dafür muss ich mein Deutsch deutlich verbessern, aber das ist auf jeden Fall mein Wunsch für die Zukunft.“ Maisaa kommt aus Erbil, wo die meisten Frauen berufstätig sind. „Kurdische Frauen arbeiten seit Langem, alle Frauen in meiner Familie haben gearbeitet. Hier bei Chickpeace habe ich die Möglichkeit, ein Gehalt zu bekommen: Kochen ist eine meiner großen Leidenschaften,“ erzählt sie. Kaum sind alle Speisen fertig und abgeholt, werden frische Waren auf dem Tisch zurechtgelegt und saubere Töpfe bereitgestellt. Die nächste Bestellung. Schaut man sich um, was es in Hamburg noch an Angeboten für geflüchtete Frauen gibt, stößt man auf die Webseite von „Mama Lies“. Leyla, die Gründerin der Organisation, ist selbst aus dem Iran mit ihrer Familie geflüchtet, als sie noch ein Kind war. Ihre Organisation – oder Denkfabrik, wie sie es nennt – bietet Sprachkurse, Kinderbetreuung und Kunstprojekte an, neuerdings auch Kochkurse. Für Leyla kann Kochen und Essen einen Kulturaustausch ermöglichen. Sie bietet den Frauen an, auch deutsche Rezepte auszuprobieren und mit deutschen Frauen in Kontakt zu kommen. „Es muss nicht immer Köfte sein. Warum nicht mal Senf-Eier?“ So lernen sie voneinander. „Das schafft Verständnis auf mehreren Ebenen“, sagt Leyla.Deshalb arbeitet sie auch mit deutschen Rentnerinnen zusammen, die eine Brücke zwischen den Kulturen schaffen. Sie hat gemerkt, dass deutsche Frauen im Ruhestand unter einer ähnlichen Einsamkeit leiden wie geflüchtete Frauen mit kleinen Kindern. Sie hofft, dass durch die Begegnung Rassismus abgebaut werden kann. Sie erzählt eine Anekdote, die sie zuversichtlich macht: „Eine Rentnerin holt immer für uns die Eier auf dem Land. Die Bäuerin hat ihr erzählt, sie kenne keine Ausländer, aber die Oma habe gesagt, die seien in Ordnung, und wenn die Oma das sage, dann sei es auch so!“

Vorurteile gibt es jedoch auf beiden Seiten. Auch für geflüchtete Frauen ist es nicht leicht, sich mit der deutschen Kultur vertraut zu machen und Hemmungen zu überwinden. Daran arbeitet die Berliner Organisation „Über den Tellerrand“, indem sie Kochabende für Frauen organisiert. Der„Hub“ dieser Organisation liegt im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Fünf Tische sind in dem großen hellen Raum mit frischem Gemüse und Gewürzen bedeckt, daneben stehen Elektrokochplatten. Die Frauen kommen auch hier aus verschiedenen Ländern: Syrien, Rumänien, Amerika, China oder Indien. „Hier in Deutschland hat man so viel Freiheit!“ begeistert sich Soraya*, die aus dem Iran kommt. „Hier kann ich das tragen, was ich möchte, und auch um drei Uhr morgens auf der Straße spazieren! Bei mir durfte ich nach 18 Uhr nicht aus dem Haus.“

Ein großer Tisch wird aufgebaut, alle setzen sich hin zum Essen. Im Hintergrund läuft arabische Musik. „Es ist mir klar, dass das hier nicht der Realität entspricht“, sagt Laura, die aus Finnland kommt. „Hier ist es eine perfekte Welt, in der alle sich gut verstehen.“ Es mache ihr aber Hoffnung, dass man durch solche Abende eigene Vorurteile abbauen kann. Neben ihr schaut Amal aus Palästina auf den gedeckten Tisch: „Was geflüchtete Frauen nicht kennen, ist für sie einfach falsch! Aber je öfter sie hier herkommen, desto mehr trauen sie sich und entdecken neue Geschmäcker, die sie nie zuvor probiert hätten. Viele kennen keine andere Küche als die der eigenen Heimat“, erklärt sie.
In den Städten wird bereits an den Brücken zwischen den Kulturen gebaut, Zeit also, sich anzuschauen, wie es in der Provinz aussieht.
Der Zug fährt an einem Bach entlang, vorbei an Wäldern, Solaranlagen und weidenden Kühen bis nach Siegen, einer mittelgroßen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Hier wohnt Eva Jürcke, die zum internationalen Frauenklub „Soroptimist“ gehört. In Deutschland entstand der erste Club 1930, heutzutage gibt es 213 Clubs im ganzen Land. Eva Jürcke ist Juristin und entdeckte schon vor ein paar Jahren, dass Frauen sich untereinander mehr Solidarität wünschen, und sie wollte, dass Geflüchtete sich willkommen fühlen. Seitdem trifft sich die Gruppe geflüchteter und deutscher Frauen jeden Monat in einer alten Gaststätte, um gemeinsam zu kochen. An diesem Abend kocht Aysun, eine türkische Schneiderin, die seit den Achtzigerjahren in Deutschland wohnt. Mehrere Frauen helfen ihr, in der Küche Pide zuzubereiten, während zwei andere Frauen sich um die Babys kümmern. Hinter der Theke bereitet Rama einen Bananen-Honig-Avocado-Smoothie vor, den sie in Bierkrügen ausschenkt. „Am Anfang konnten wir gar kein Deutsch. Ich erinnere mich, dass wir einmal im Supermarkt Käse kaufen wollten, aber stattdessen Butter mitgebracht haben! Manche haben aus Versehen Katzenfutter gekauft!“ Sie lacht. „Der Weg von Aleppo bis hierher war hart. Das schlimmste war die Fahrt in einem Lastwagen von Izmir bis zu einem Strand in Griechenland. Es waren viel zu viele Menschen eingesperrt. In fünf Stunden hat der Lastwagen nicht einmal gestoppt.“
Alle sitzen jetzt um den Holztisch unter der niedrigen Decke und essen Pide, dazu Salate mit Auberginen, Möhren und Knoblauch. Rama und ihre Mutter zeigen Fotos von Festessen auf ihren Smartphones. Sie lächelt: „Ich glaube, auf meinem Handy habe ich hauptsächlich Essensfotos!“ Sie zeigt dann aber ein Video von ihrem zerstörten Haus in Aleppo. Die wackeligen Bilder nehmen den Betrachter mit auf eine Tour durchs Haus, vom Pool im Garten bis in die Schlafzimmer. „Und das hier war mein Zimmer“, sagt Rama leise. Heute ist alles zerstört. Ramas Mutter kann die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Trauma und Verlust haben die meisten Geflüchteten erlitten. Auf der letzten Etappe, dem Besuch einer Initiative in München, erzählen die Frauen aber auch von Möglichkeiten, die sie gefunden haben, um sich zu befreien. „Ich sage, ich habe nur noch Zeit für Spaß und nicht mehr für Stress. Ich hatte genug Stress in meinem Leben“, sagt Manije ruhig. Sie nimmt Kokosnussöl und kippt es in einen kleinen Becher mit Bienenwachs und Chiabutter. Heute gibt es einen Naturkosmetik-Workshop bei „Juno“. Jeden Dienstag kommt die Iranerin hierher, um andere Frauen kennenzulernen und ihnen ihre Unterstützung anzubieten. „Ich hätte mir gewünscht, dass es so etwas gegeben hätte, als ich in den Achtzigerjahren nach Deutschland gekommen bin. Das waren harte, einsame Zeiten am Anfang.“
„Juno“ vernetzt seit 2016 Flüchtlingsfrauen mit einheimischen Frauen durch Begegnungen, die im Café Bellevue di Monaco organisiert werden. Es ist laut und fröhlich im Raum, Kinder rennen herum, manche sitzen auf dem Schoß von Erwachsenen. Das Essen kocht schon und es riecht nach Lavendel und Minze, die die Teilnehmerinnen vom Workshop benutzen, um ihren Körpercremes einen Duft zu geben. Sofia Hisaba* sitzt draußen in der Sonne im Hof. Sie ist aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Im Herbst veröffentlicht sie ein Buch über ihre Geschichte: „Schrei in der Welt“.
Als sie in der 5. Klasse war, hat ihr Onkel sie heimlich an einen 25 Jahre älteren Mann verheiratet. „Ich war noch ein Kind! Ich habe meine Oma angefleht, mir zu helfen. Aber niemand konnte mir helfen,“ erzählt sie. Eine Verlobung darf man in Afghanistan auf keinen Fall lösen, vor allem nicht vonseiten der Zwangsverlobten. Die Konsequenzen können dramatisch werden, bis hin zur Auslöschung der Familie des Mädchens. Sie erzählt von der Flucht durch Indien bis Deutschland. Hier entdeckt sie eine neue Welt. Doch wovon sie sich wirklich befreien will, das sind die dunklen Gedanken an ihren vor ein paar Jahren verstorbenen Ehemann. „Bis zu seinem Tod war dieser Mann eine fremde Person für mich. Danach habe ich das erste Mal Freiheit erfahren.“ Ihre Stimme bricht. In der Zwischenzeit haben die Frauen fertig gegessen und räumen auf. Eine von ihnen hat Musik angemacht, und ein paar tanzen zwischen den Tischen. „Ich bin so dankbar, dass ich hier in Deutschland lebe,“ sagt Sofia. Sie schwärmt vor allem von der Hilfe, die sie von deutschen Frauen bekommen hat, die ihr beigestanden haben. „Hier habe ich mein Glück gefunden.“

*) Namen geändert