Guter Bildungsstand, erfolgreiche Karrieren: Eingewanderte aus dem Iran gelten in Deutschland als „besonders gut integriert“. Aber was genau heißt das eigentlich?
Von Lisa Neal (erschienen am 11.04.2022 in der Frankfurter Rundschau)
Frankfurt – Am Morgen ruft ein Iraner an. Er ist der erste an diesem Wintertag und nicht der letzte. Der junge Mann ist gerade erst von der belarussischen Grenze über Polen nach Brandenburg geflohen. Weder weiß er, wo er einen Anwalt findet, noch wie und wo er sein neues Leben beginnen kann. Deshalb ruft er Hamid Nowzari an, Geschäftsführer des Vereins Iranischer Geflüchteter. In dessen Büro in Berlin-Neukölln stapeln sich Bücher und Papiere – und immer wieder klingelt das Telefon. Seit 1991 berät Nowzari mit seinem Team Iraner:innen und Afghan:innen, die neu nach Deutschland kommen. Es sind viele.
„Kein Krankenhaus und kein großes Architekturbüro in Deutschland mehr ohne Iraner“, spitzt Nowzari scherzhaft zu, wie er die Integration von Iraner:innen einordnet. So in etwa lautet auch die weit verbreitete und zuweilen von Politikern geteilte Einschätzung von Iraner:innen in Deutschland: Sie haben fast keine sozialen Probleme und sind entweder Arzt oder Ingenieurin. Sie gelten als gebildet, erfolgreich und säkular. In Deutschland leben laut Angaben des Statistischen Bundesamts weit über 180 000 Iraner:innen. Dabei fallen Personen aus der zweiten Generation von amtlicher Seite bereits aus der Zählung.
Gibt es etwas per se iranisches, dass die Integration dieser Menschen erleichtert oder ist der Ruf eine Übertreibung? Welche Gemeinschaft wird der Iraner vorfinden, der gerade in Brandenburg angekommen ist?
Für Nowzari, angegrauter Schnurrbart und flinke Bewegungen, gibt es eine Erklärung für das, was viele dieser Menschen verbindet: „Es war bisher die gebildete Ober- und Mittelschicht, die nach Deutschland kam“, sagt er. 1979 kam es zu einem großen Umbruch in Iran. Eine landesweite Revolution beendet die Monarchie. Schließlich übernehmen konservative Geistliche unter Führung von Ruhollah Chomeini die Macht und setzen eine autoritäre schiitische Theokratie durch, die bis heute besteht. Ehemalige Verbündete werden zu Staatsfeinden erklärt, viele Menschen fliehen aus ihrer Heimat. 1980 beginnt ein acht Jahre andauernder Krieg zwischen Iran und Irak, der über eine Million Menschen das Leben kostet und viele zur Flucht zwingt. Eine weitere Welle politisch erschütterter Menschen geht Mitte der 90er Jahre, als vielversprechende Reformvorhaben brutal verhindert werden und es zu den sogenannten Kettenmorden an oppositionellen Intellektuellen kommt. Ende 2010 folgt dann ein Braindrain junger Menschen aus bildungsnahen Schichten, nachdem die landesweiten Proteste von 2009 im Iran blutig niedergeschlagen wurden. Bis heute ist die politische Situation die häufigste Fluchtursache für Menschen aus dem Iran.
Integration kann vieles meinen, manche sprechen von vollständiger Anpassung, andere von der Aneignung bestimmter Einstellungen und Fertigkeiten wie der Sprache. Bei Iraner:innen wird oft der Bildungshintergrund als Anzeichen für eine gelungene Integration in die Mehrheitsgesellschaft aufgeführt. Zu den Beispielen der integrierten Iraner:innen gehört der Politiker Omid Nouripour, neuer Co-Parteichef der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Er wurde 1975 in Irans Hauptstadt Teheran geboren und flüchtete im Alter von dreizehn Jahren mit seiner Familie nach Frankfurt am Main. 1996 wird er Mitglied bei den Grünen, studiert unter anderem Philologie, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft und wird 2006 erstmals Bundestagsabgeordneter.
Das gesellschaftliche Ansehen spielt eine große Rolle
Ein Jahr später veröffentlicht Nouripour ein Buch über Integration in Deutschland. Darin beschreibt er Integration als einen wechselseitigen Prozess und plädiert für bessere Jobmöglichkeiten für Eingewanderte. Sein Blick gilt dabei nicht nur dem, was Migrant:innen für ihre Integration tun sollen, sondern auch dem, was die deutsche Gesellschaft leisten muss. Über das Bild der erfolgreich integrierten Iraner:innen sagt er im Gespräch: „Die These stimmt so nicht mehr.“ Sie gehe auf Kosten anderet migrierter Personen. Außerdem sei Bildungsaffinität keine iranische Angelegenheit, sie sei keine Frage von Nationalität, sondern von Demografie. „Es gibt auch eine Reihe von Personen aus Iran mit erheblichen Integrationsproblemen. Das wird durch so eine These einfach weggewischt.“
Dass die Situation sich verändert, sehen Nowzari und auch der Iranexperte Sören Faika. Er gründete und leitet seit 2009 die Deutsch-Iranische Beratung in Hamburg. „Der Ruf, der Iranern und Iranerinnen vorauseilt, ist veraltet. Sie müssen inzwischen viel mehr um Ansehen und Bedeutung kämpfen“, sagt Faika. „Dieser Erfolgsdruck, der damit einhergeht, ist gigantisch. Ich habe Menschen daran zerbrechen sehen.“ Bei Erfolgsdruck geht es gewonnenes Ansehen.
Die Soziologin Sahar Biglu hat untersucht, weshalb Iraner:innen in der zweiten Generation als erfolgreich gelten. „Integration ist nur ein Teil des Erfolgs“, sagt sie. Erfolg hieße unter Iraner:innen oft, einen hohen Bildungsabschluss zu erlangen. „Bildung bedeutet Arbeit, Prestige und Luxus“, sagt Biglu. Wer sich für Berufe wie Arzt, Anwalt oder Ingenieur qualifiziere, genieße Ansehen, verdiene Geld. „Die gesellschaftliche Geltung ist mit am wichtigsten unter Iranern“, sagt Biglu. Diese Einstellung passe zur Leistungsmentalität in Deutschland.
Der Druck macht sich über alle Generationen hinweg bemerkbar, weiß Hamid (Name geändert, Anm. d. R.) aus eigener Erfahrung. Er musste dem Wunsch seiner Eltern widerstehen, die wollten, dass er Medizin studiert Bei der Generation seiner Eltern rührt der Druck auch daher, dass es schwierig war, die in der Heimat erworbenen Bildungsabschlüsse in Deutschland anerkennen zu lassen. Daher stammen die Geschichten von iranischen Taxifahrern mit Doktortiteln oder der Juristin als Copy-Shop-Besitzerin. Hamid lebt in Köln und ist in der Ausbildung zum Therapeuten. „Ich weiß nicht, ob es objektiv stimmt, dass Iraner besser integriert sind“, sagt der 25-Jährige. Auffällig ist für ihn, welch hohen Stellenwert Sozialprestige im Iran wie auch unter Iraner:innen in Deutschland hat. Der Wunsch, angesehene Berufe zu ergreifen, um materiellen Wohlstand zu erlangen, sei weit verbreitet.