Aufruf der Karl-Gerold-Stiftung zur Verteidigung journalistischer Qualitätsmaßstäbe:
In vielen Gesellschaften haben soziale Ungleichheit und Polarisierung zugenommen. Autoritär und nationalistisch ausgerichtete, rückwärtsgewandte Gruppierungen bzw. Regimes zementieren alte, undemokratische Machtstrukturen. Immer aggressiver werden die Fortschrittsideen der vergangenen Jahrzehnte in Frage gestellt, die sich nicht zuletzt in mehr innergesellschaftlicher Liberalität und Vielfalt ausdrücken. Manche Menschen zweifeln aber auch in Demokratien an diesem Fortschrittsverständnis, weil sie die eigenen Erfahrungen und Interessen nicht genug vertreten sehen – bis hin zu Zweifeln an der Demokratie selbst und Offenheit für Gruppierungen, die eine Aushöhlung der demokratischen Prinzipien wollen.
In dieser Situation kommt es entscheidend auf Glaubwürdigkeit und Haltung in der demokratischen Öffentlichkeit an. Um grundlegende soziale und kulturelle Werte muss weltweit verstärkt gekämpft werden. Eine der wichtigsten Stützen dafür ist guter Journalismus. Die Karl-Gerold-Stiftung, die sich selbst an einer sozialen und liberalen Grundhaltung orientiert, sieht sich als Teil einer gesellschaftlichen Bewegung für die Verteidigung journalistischer Qualitätsmaßstäbe in einer demokratischen Öffentlichkeit.
Diese Bewegung muss gestärkt werden, weil
- weltweit die Repression gegen unabhängigen Journalismus zunimmt und autoritäre Regimes immer schamloser versuchen, Öffentlichkeiten einzuschüchtern bzw. zu manipulieren,
- die wirtschaftliche Basis vieler Qualitätsmedien schwächer wurde und deshalb die frühere journalistische Beobachtungsdichte oft schon jetzt nicht mehr erreicht wird,
- selbst innerhalb des journalistischen Informationsangebots in den Demokratien gefährliche Trends von Vereinfachung, überzogener Personalisierung und oberflächlicher Zuspitzung erkennbar werden,
- auch in der digitalen Welt Ungleichzeitigkeit und Ungerechtigkeit weiter zunehmen und sich die öffentliche Aufmerksamkeit zu oft auf räumlich Naheliegendes beschränkt oder auf Einzelereignisse reduziert,
- im Zuge der Digitalisierung inzwischen auch die Rolle des Journalismus insgesamt in Frage gestellt wird, sich Falschinformationen rasend schnell ausbreiten und oft nur sehr schwer erkennbar sind,
- der Trend zur kommunikativen Abschottung innerhalb der Milieus Gleichgesinnter/Gleichgläubiger zunimmt und dadurch offener Dialog schwieriger wird sowie
- guter Journalismus, der diesen Dialog ermöglicht und zugleich Stellung bezieht, auch in offenen Gesellschaften längst selbst von Angriffen auf die Medienfreiheit bedroht ist bzw. zur Zielscheibe populistischer Agitation und Angriffe wird.
Die Karl-Gerold-Stiftung fördert und unterstützt einen Journalismus, der auf Qualitätsmaßstäben basiert, unabhängig Informationen sammelt und einordnet, neugierig ist und die Vielfalt des Zusammenlebens abbildet, sich auf der Basis seiner berufsethischen Maßstäbe aber auch pointiert einmischt.
- Qualitätsmaßstäbe
Zu den unverrückbaren Qualitätsmaßstäben eines guten Journalismus gehören unabhängiges Hinterfragen und Recherche bei allen aufgegriffenen Themen, aber auch Differenziertheit von Analysen und Berichten als Basis für Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Wo immer Menschenrechte verletzt werden, sind Hinschauen und Publizität die journalistische Antwort. Nur ein international ausgerichtetes journalistisches Selbstverständnis kann dieser Aufgabe gerecht werden. Das Angebot von Erklärung und ein werteorientierter, aufklärerischer Denkansatz sollen dabei Meinungsbildung möglich machen, nicht sie bereits ersetzen.
Dabei geht es auch immer um das Erklären der Prozesshaftigkeit von Entwicklungen und Entscheidungen, zum Beispiel um das Einordnen der Aktualität in längerfristige Prozesse, innerhalb derer sie entsteht und ihre Bedeutung für die Zukunft hat. Wobei diese Zukunft nie nur über das Lokale und Regionale zu verstehen ist, sondern eingebunden in eine globalisierte Welt. Besonders wichtig ist dabei ein kritisch-konstruktiver Umgang mit neuen Medien, im Bewusstsein für ihre Gefahren und Möglichkeiten.
- Journalistische Praxis
Es gibt keine Neutralität, aber es gibt Informationskerne (Fakten) als Basis unterschiedlicher möglicher Bewertungen, was in der journalistischen Praxis erkennbar werden muss. Voraussetzung für glaubwürdigen Journalismus ist die unabhängige und sorgfältige Faktenprüfung, zumal angesichts der neuen Möglichkeiten zur Informationsmanipulation in der digitalen Welt. Das Verhältnis von Berichten und Bewerten wird dabei in den verschiedenen journalistischen Formen unterschiedlich definiert.
Wie klar und erkennbar die Abgrenzung zwischen beidem ausfällt, hängt stark vom journalistischen Ansatz des jeweiligen Mediums bzw. dem Publikationsplatz innerhalb eines Mediums ab. Klare Unterscheidbarkeit zwischen Berichten und Kommentieren steht neben subjektiveren Erzählformen für das ganze Spektrum professioneller journalistischer Angebote.
Dabei geht es immer darum, Entwicklungen und kulturelle Prozesse mit kritischem Blick durchschaubar/nachvollziehbar zu machen – nicht nur, sie von außen kritisch zu bewerten bzw. bei internationalen Themen aus weiter Entfernung zu urteilen. Die kritische Auseinandersetzung darf deshalb vor plakativer journalistischer Überheblichkeit und anderen Fehlentwicklungen im Medienbereich nicht Halt machen. Unterschiedliche journalistische Blickperspektiven (zum Beispiel männliche und weibliche) auf gesellschaftliche Themen bereichern die Wahrnehmung und ermöglichen erst ein differenziertes Bild.
III. Gesellschaftliche Verantwortung
Journalistische Verantwortung für die Demokratie bedeutet, positive Orientierungen zu stärken, insbesondere für Weltoffenheit und Vielfalt, aber auch für sozialen Ausgleich – und zugleich eine eindeutige Abgrenzung gegenüber Populismus und insbesondere rechter Hetze. Verantwortlicher Journalismus engagiert sich gegen die Feinde der Demokratie, gegen Menschenrechtsverletzungen und soziale Ausgrenzung. Er steht für die Achtung demokratischen Engagements außerhalb und innerhalb von Institutionen statt Abschätzigkeit gegenüber Politik schlechthin. Er steht für die Gleichstellung von Männern und Frauen und gegen jede Form der Diskriminierung.
Eine demokratische Öffentlichkeit sollte helfen, politisches und soziales Engagement zu stabilisieren und sie muss Perspektivdebatten über die Gegenwart hinaus führen. Sie muss dabei Forum sein für die ganze Gesellschaft, auch für Minderheiten und Menschen mit materieller Benachteiligung. Sie muss die Kompetenz zu interkulturellen Perspektiven stärken und so Ausgrenzung jeder Art erschweren sowie gewaltsame Konflikte inner- und zwischengesellschaftlich vermeiden helfen.
Guter Journalismus wird seiner Verantwortung auch dadurch besser gerecht, dass er die Transparenz journalistischer Arbeit und redaktioneller Entscheidungen verbessert, dass er sich selbst und seine Rolle immer wieder neu begründet – und dass er die eigene Finanzierung sowie mögliche Interessenskonflikte offen legt. Unabhängigkeit braucht aus Gründen der Glaubwürdigkeit solche Transparenz, bis hin zu materiellen Fragen im Berufsalltag (Einladungen etc.).
- Unsere Aufgabe
Guter Journalismus ist dringend notwendig, damit gesellschaftliche Gegenmacht gegen Unterdrückung und Zensur weltweit wächst, damit aber auch die demokratischen Gesellschaften sich gegen Angriffe verteidigen und sich positiv entwickeln können. Nicht von ungefähr gehört die Behauptung zum Repertoire dieser Angriffe, in der digitalen Welt werde professioneller Journalismus nicht mehr gebraucht. Das Gegenteil ist richtig: Verantwortliches, glaubwürdiges Einordnen und Überprüfen von Einzelinformationen wird noch wichtiger. Eindeutige Haltung gegenüber Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Rassismus und Nationalismus muss gefestigt werden. Ohne engagierten Qualitätsjournalismus ist die offene Demokratie undenkbar.
Die Karl-Gerold-Stiftung will mit ihren Förderprogrammen junge Journalistinnen und Journalisten unterstützen, die in diesem Sinne arbeiten.